Neutronenmonitore
Trotz des Einsatzes von erdgestützten Neutronenmonitoren (NM) seit über 50 Jahren entspricht der Detektor auch heute noch dem Stand der Technik, um die kosmische Strahlung in der Atmosphäre zu messen. Neutronemonitore spielen eine wichtige Rolle in der Forschung der Weltraumphysik, der solar-terrestrischen Beziehungen und des Weltraumwetters (engl. space weather). Neutronenmonitore sind empfindlich auf die in die Erdatmosphäre eindringende kosmische Strahlung im Energiebereich von etwa 0.5-20 GeV, d.h. in einem Energiebereich, welcher nicht mit kosmischen Strahlungsdetektoren auf Raumsonden auf diese einfache, kostengünstige und statistisch exakte Art gemacht werden können. Es werden heute zwei standardisierte Detektortypen (IGY und NM64) in einem weltweiten Netzwerk von insgesamt etwa 50 Stationen betrieben.
NM64 Neutronenmonitor mit drei Zählrohren (rechts, sichtbar sind Holzverkleidung des Reflektors sowie Zählrohre) und Elektronikschrank (links) mit Barometer, Zählerelektronik und Hochspannungsgeräte.
Bestandteile eines Neutronenmonitors
Aufbau eines Neutronenmonitors
Es gibt zwei standardisierte Neutronenmonitortypen. Der IGY Neutronenmonitor wurde in den frühen fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts durch Simpson (1958) entwickelt. Der IGY Neutronenmonitor war der Standarddetektor, um die zeitliche Variation der primären komischen Strahlung bei Energien im GeV-Bereich während dem Internationalen Geophysikalischen Jahr 1957/1958 (engl. IGY, International Geophysical Year) zu erforschen. Etwa zehn Jahre späte entwickelte Carmichael (1964) den grösseren NM64 Neutronenmonitor, welcher eine höhere Zählrate aufweist. Der NM64 Neutronenmonitor war der erdgestützte Standarddetektor für kosmische Strahlung während dem Internationalen Jahr der ruhigen Sonne 1964 (engl. IQSY, International Quiet Sun Year).
Die Neutronenmonitore bestehen aus speziellen gasgefüllten Proportionalzählrohren, welche von einem Moderator, Neutronenerzeuger aus Blei sowie einem Reflektor umgeben sind. Die einfallenden Nukleonen (Protonen und Neutronen) des sekundären kosmischen Strahlung verursachen Kernwechselwirkungen im Blei, bei welchen sogenannte Verdampfungsneutronen sowie niederenergetische Neutronen produziert werden. Diese MeV-Neutronen werden im Moderator auf thermische Energien abgebremst und werden schliesslich z.B. im NM64 mit einer Wahrscheinlichkeit von etwa 6% in den Proportionalzählrohren detektiert. Die Tatsache, dass schlussendlich Neutronen detektiert werden, haben diesem kosmischen Strahlungsdetektor den Namen: Neutronenmonitor gegeben.
Das einfallende Nukleon, hier ein Proton, macht eine Kernwechselwirkung mit dem Blei. Im gezeigten Fall werden in der Kernwechselwirkung drei Verdampfungsneutronen erzeugt. In Zufallsbewegungen durchlaufen die Neutronen die verschiedenen Materialien des Neutronenmonitors. Zwei Neutronen werden im Reflektor vollständig abgebremst (absorbierte Neutronen) und ein Verdampfungsneutron dringt in den Moderator ein, wo es abgebremst wird und schlussendlich im Zählrohr detektiert wird.
Gasgefülltes Zählrohr
Die Zählrohre in einem Neutronenmonitor detektieren thermische Neutronen, d.h. Neutronen mit einer Energie von etwa 0.025 eV. Das Zählgas ist üblicherweise Bortrifluorid (BF3), das mit dem Isotop 10B zu 96% angereichert ist und im NM64 Zählrohr ein Druck von 0.27 bar aufweist.
Der Nachweis von thermischen Neutronen im Zählrohr geschieht durch die exothermische Reaktion bei der Wechselwirkung mit dem 10B-Kern: $$ ^{10}\mathrm{B}_5 \quad + \quad \mathrm{n} \quad \rightarrow \quad ^{7}\mathrm{Li}_3 \quad + \quad ^4\mathrm{He}_2 $$
Die Produkte der Reaktion werden durch ihre Ionisation im Zählgas nachgewiesen. Das Zählrohr wird als Proportionalzählrohr mit einer Betriebsspannung von etwa -2800 V (NM64) betrieben.
Seit 1990 wird als Zählgas in den Zählrohren der Neutronenmonitore anstelle von BF3 auch 3He Gas verwendet. Die 3He Zähler weisen einen einfacheren Aufbau auf. Die exothermische Reaktion der Neutronen mit 3He ist: $$ ^{3}\mathrm{He}_2 \quad + \quad \mathrm{n} \quad \rightarrow \quad ^{3}\mathrm{H}_1 \quad + \quad \mathrm{proton} $$
Ein weiterer Vorteil von 3He als Zählgas ist die Tatsache, dass die Zählrohre bei viel geringerem Gasdruck und mit einer Spannung von weniger als 1500 V betrieben werden können. Bei höherem Druck im Zählgas kann eine höhere Nachweiseffizienz pro Volumen erzielt werden.
Obwohl die Zähler aufgrund der oben beschriebenen Reaktionen (1) und (2) aufgrund der 1/v Abhängigkeit des Wechselwirkungsquerschnitts (v: Geschwindigkeit des Neutrons) insbesondere zum Nachweis von thermischen Neutronen wirksam sind, können schnelle Neutronen im MeV-Bereich nachgewiesen werden, indem die Zählrohre mit Moderatormaterial aus Paraffin oder Polyäthylen umgeben werden.
Moderator
Wenn die einfallenden Neutronen zu schnell sind, so ist die Wahrscheinlichkeit einer Reaktion mit dem Zählgas gemäss (1) und (2) klein und damit auch deren Nachweiswahrscheinlichkeit. Um die Nachweiswahrscheinlichkeit zu erhöhen, müssen die Neutronen abgebremst werden. Die Aufgabe des Moderators ist die Energie der Neutronen zu verringern und sie möglichst gut zu thermalisieren (~ 1/40 eV).
Dies wird erreicht, indem die Neutronen mit Kernen im Neutronenmonitor kollidieren. Der Energieübertrag vom Neutron auf das Target ist maximal, wenn die Masse des Targetkerns möglichst gleich ist wie die Masse des Neutrons
- dies ist ein grundlegendes Gesetz der Mechanik. Materialien, welche dieses Kriterium erfüllen, sind Moleküle, welche Wasserstoff enthalten, wie Paraffin, Wasser oder Polyäthylen. Paraffin (IGY) und Polyäthylen (NM64) werden in Neutronenmonitoren als Moderatormaterial verwendet.
Neutronenerzeuger aus Blei
Der Moderator ist mit Blei umgeben, um niederenergetische Neutronen zu erzeugen. Die Funktionen des Bleis im Neutronenmonitor sind:
Verdampfungsneutronen und niederenergetische Neutronen werden durch die einfallenden energiereichen Nukleonen in Kernreaktionen im Blei erzeugt. Die produzierten Verdampfungsneutronen haben eine Energieverteilung, die bei etwa 2 MeV ein Maximum aufweist und die bis zu Energien von etwa 15 MeV reicht.
Die mittlere Zahl der bei Kernwechselwirkungen im Blei erzeugten Verdampfungsneutronen pro einfallendes Nukleon ist etwa 15. Dadurch wird durch das Blei auch die Nachweiswahrscheinlichkeit der einfallenden Nukleonen erhöht.
Blei wird als Neutronenerzeuger verwendet, weil dieses Element eine hohe Atommasse, A, aufweist und damit einen grossen Kern für die Produktion von Verdampfungsneutronen darstellt. Zudem ist der Wirkungsqueschnitt für Absorption der thermischen Neutronen im Bleis relativ gering.
Die folgenden Angaben beziehen sich auf den Neutronenmonitortyp NM64. Die Wahrscheinlichkeit für ein einfallendes Neutron oder Proton der sekundären kosmischen Strahlung mit einem Kern des Bleitargets eine Wechselwirkung zu machen ist ~50%. Die mittlere Anzahl produzierter Verdampfungsneutronen pro Kernreaktion im Blei ist ~15 und die Nachweiswahrscheinlichkeit eines Verdampfungsneutrons im Zählrohr ist ~6%. Mit diesen Eigenschaften ist die mittlere Zählrate einer Neutronenmonitorstation des Typs NM64 mit 6 BF3 Zählrohren in hohen Breiten und auf Meereshöhe ~70 Zählsignale/Sekunde und ~50 Zählsignale/Sekunde für einen typgleichen Neutronenmonitor am Äquator und auf Meereshöhe.
Reflektor
Die Anordnung der Zählrohre, des Moderators und des Bleis wird beim NM64 von Polyäthylen und beim IGY Neutronenmoitor von Paraffin umgeben. Dieser Aufbau bremst die im Blei erzeugten Verdampfungsneutronen ab und reflektiert sie zurück in Richtung der Zählrohre. Der Reflektor wirkt auch als Schild für tiefenergetische Neutronen, welche im Material in der Umgebung des Neutronenmonitors erzeugt wurden, indem der Reflektor diese Neutronen absorbiert. Dies verhindert, daß Änderungen von Material in der Umgebung des Detektors (wie z.B. Schneeansammlungen auf dem Dach des Detektorhauses) eine grössere Änderung in der Zählrate des Neutronemoitors zur Folge haben.
Eigenschaften der Neutronenmonitore
IGY | NM64 | |
---|---|---|
Zählrohre | ||
AktiveLänge / cm | 86.4 | 191 |
Durchmesser / cm | 3.8 | 14.8 |
Druck / bar | 0.60 | 0.27 |
Moderator | ||
Material | Paraffin | Polyäthylen |
Mittlere Dicke / cm | 3.2 | 2.0 |
Erzeuger | ||
Material | Blei | Blei |
Mittlere Tiefe / g cm-2 | 153 | 156 |
Reflektor | ||
Material | Paraffin | Polyäthylen |
Mittlere Dicke / cm | 28 | 7.5 |
Weiterführende Literatur
J.A. Simpson, Cosmic Radiation Neutron Intensity Monitor, Annals of the Int. Geophysical Year IV, Part VII, Pergamon Press, London, p. 351, 1958
H. Carmichael, IQSY Instruction Manual, vol. 7, Deep River, Canada, 1964
C.J. Hatton, The Neutron Monitor, in J., G. Wilson and S.A. Wouthuysen (eds.), Progress in Elementary Particle and Cosmic-ray Physics, vol. 10, chapter 1, North Holland Publishing Co., Amsterdam, 1971
P.H. Stoker, L.I. Dorman, and J.M. Clem, Neutron Monitor Design Improvements, Space Science Review, vol. 93, pp. 361-380, 2000
J.M. Clem and L.I. Dorman, Neutron Monitor Response Functions, Space Science Review, vol. 93, pp. 335-359, 2000