Die kosmische Strahlung und die Erde

Auf ihrem Weg zur Erde begegnen die kosmischen Strahlungsteilchen dem Erdmagnetfeld und falls sie dieses durchdringen können, treffen sie auf die Erdatmosphäre. Das Erdmagnetfeld wird durch Stromsysteme innerhalb der Erde (inneres Magnetfeld) und durch verschiedene Stromsysteme in der Magnetosphäre (äusseres Magnetfeld) generiert. Kosmische Strahlungsteilchen, welche von aussen in das Erdmagnetfeld gelangen, durchlaufen komplexe Tajektorien und werden daran gehindert die Atmosphäre überhaupt zu erreichen, falls die Teilchenenergie zu gering ist. Aus dieser Filterung in der Magnetosphäre ergibt sich die Möglichkeit, die Messungen von Neutronenmonitorstationen an verschiedenen Orten zu gebrauchen, um das Energiespektrum der kosmischen Strahlung in Erdnähe und die Einfallsrichtung in die Geomagnetosphäre zu bestimmen.

Wenn kosmische Strahlung in die Erdatmosphäre einfällt, so trifft sie auf Atome und Moleküle in der Atmosphäre, vorwiegend Stickstoff und Sauerstoff. In Kernkollisionen werden sekundäre Teilchen mit verschiedenen Energien produziert. Einige dieser sekundären Teilchen werden den Erdboden erreichen, wo sie mit geeigneten Detektoren (z.B. Neutronenmonitore) nachgewiesen werden können. Aufgrund dieser Messungen kann auf Eigenschaften der primären kosmischen Strahlung geschlossen werden.

Kosmische Strahlung und die Magnetosphäre

Die Geomagnetosphäre

Die Erde hat ein Magnetfeld, welches durch elektrische Ströme im Erdinnern erzeugt wird. Falls sich die Erde im leeren Raum befinden würde, dann würde das Magnetfeld ausserhalb des Erdkörpers demjenigen eines Stabmagneten gleichen, d.h. einem Dipolfeld, das bezüglich dem Erdmittelpunkt etwas verschoben ist und gegenüber der Rotationsachse der Erde etwas geneigt ist. Dieses Bild beschreibt das Erdmagnetfeld bis zu einer Distanz von etwa fünf Erdradien vom Erdzentrum entfernt recht gut. Die Erde ist aber auch einem kontinuierlichen Fluss von geladenen Teilchen des Sonnenwindes ausgesetzt. Der Sonnenwindfluss verdichtet die Magnetfeldlinien auf der der Sonne zugewandten Seite der Erde und zieht das Erdmagnetfeld in einen langen Schweif auf der Nachtseite. In der Figur sind die Magnetfeldlinien durch dicke hellblaue Linien gekennzeichnet (aus ESA). Die Geomagnetosphäre bildet ein nahezu geschlossenes System, welches durch den Sonnenwind umflossen wird (in der Figur durch dünne Linien angezeigt). Das Gebiet des Erdmagnetfeldes im Sonnenwind wird Geomagnetosphäre genannt (Anmerkung: Neigung des Erddipols bezüglich der Rotationsachse wird in der Figur nicht berücksichtigt.).

Die Grenze der Geomagnetosphäre auf der der Sonne zugewandten Seite liegt bei einer Distanz von 10-12 Erdradien vom Erdzentrum, während der Schweif der Magnetosphäre über mindestens 100 Erdradien mit einer zylindrischen Form mit einem Durchmesser von etwa 60 Erdradien in den der Sonne abgewandten Raum reicht. Die Konfiguration der Geomagnetosphäre wird durch den Fluss des Sonnenwindes bestimmt. Der Erdkörper macht seine tägliche Rotation, wodurch die der Sonne zugewandte Grenze der Magnetosphäre am lokalen Mittag über unseren Köpfen liegt, und wir um Mitternacht im Zenit in Richtung des Schweifes der Geomagnetosphäre schauen. Da die Dipolachse gegenüber der Rotationsachse der Erde geneigt ist, variiert das Erdmagnetfeld auf eine komplexe Art und Weise an einem fixen Standort, auch wenn die Bedingungen des Sonnenwindes stabil sind. Der sich zeitlich verändernde Sonnenwind führt zu weiteren Variationen des Erdmagnetfeldes, wie weiter unten beschrieben wird.

Geladene Teilchen und Magnetfelder

Die Bahn eines elektrisch geladenen Teilchens wird in einem Magnetfeld gekrümmt. Die magnetische Kraft wirkt rechtwinklig zur Magnetfeldrichtung und zum Geschwindigkeitsvektor des Teilchens. Ein geladenes Teilchen, welches sich längs eines statischen homogenen Magnetfeldes bewegt, wird keine Kraft durch das Magnetfeld erfahren. Wenn das geladene Teilchen sich aber in einer Ebenen senkrecht zu den Feldlinien bewegt, wird es durch die Kräfte des Magnetfeldes auf eine Kreisbahn gezwungen. Im allgemeinen Fall ist die Bahnbewegung des geladenen Teilchens (z.B. Proton) eine Kombination aus der gleichförmigen Bewegung längs dem Magnetfeld und einer Kreisbewegung senkrecht dazu, eine spiralförmige Trajektorie.

Die schematische Darstellung zeigt, wie ein Proton eine Magnetfeldlinie umkreist. Der Radius der Kreisbahn hängt von der Magnetfeldstärke und der Energie des Teilchens ab: je stärker das Magnetfeld und je kleiner die Energie des Teilchens sind, desto kleiner ist der Radius der Kreisbahn. Wenn das Magnetfeld schwach ist oder die Teilchenenergie sehr hoch ist, dann spürt das Teilchen das Magnetfeld kaum und es wird sich nahezu gradlinig fortbewegen. Elektronen werden wegen der negativen Ladung in die entgegengesetzte Richtung abgelenkt als das positiv geladene Proton. Wegen ihrer kleineren Masse (die Masse des Proton ist etwa 1800 mal grösser als die Masse des Elektrons) ist bei gleicher Geschwindigkeit der Radius der Kreisbahn bei einem Elektron kleiner als derjenige eines Protons.

Eine mathematische Beschreibung dieses Problems findet sich hier. Mit Trajektorien von geladenen Teilchen in Magnetfeldern kann unter der Seite des Space Weather Centers gespielt werden.

Geladene Teilchen und Magnetfelder

Wir können die oben beschriebene Argumentation benützen, um zu verstehen, wie kosmische Strahlungsteilchen sich verhalten, wenn sie sich durch die Magnetosphäre der Erde bewegen. Die schematische Darstellung links zeigt einen Schnitt durch die Erde in der geomagnetischen Äquatorebene, wie er durch einen Beobachter über dem Nordpol gesehen wird. In dieser Graphik ist das Magnetfeld durch blaue Kreise gekennzeichnet. Der Punkt bedeutet, dass die Magnetfeldrichtung aus der Zeichnungsebene heraus in Richtung des Betrachters zeigt. Um die Erklärungen einfach zu halten, nehmen wir an, dass die kosmischen Strahlungsteilchen sich in der geomagnetischen Äquatorebene durch den absolut leeren Raum bewegen, bevor sie auf die Geomagnetosphäre treffen. Natürlich ist auch ausserhalb des Erdmagnetfeldes im interplanetaren Raum ein Magnetfeld vorhanden, aber dieses ist viel schwächer als das Erdmagnetfeld, und es braucht deshalb hier nicht berücksichtigt zu werden.

In der Graphik sind drei Typen von Bahnen eingezeichnet. Die einfallenden Teilchen besitzen unterschiedliche Energien:

  • Wenn das einfallende kosmische Strahlungsteilchen eine sehr hohe Energie aufweist, dann wird es sich durch die Magnetosphäre praktisch auf einer geraden Linie bis zur Atmosphäre bewegen.
  • Wenn die Energie zu tief ist (E < E0), dann wird die Teilchenbahn durch das Magnetfeld in einen Halbkreis mit einem so kleinen Radius gebogen, dass das Teilchen die Atmosphäre gar nicht erreichen wird. Es wird eine halbe Kreisbahn durchlaufen und wird dann die Geomagnetosphäre wieder gegen aussen verlassen. Das bedeutet es wird in den interplanetaren Raum zurückgeworfen.
  • Teilchen mit dazwischenliegenden Energien erreichen die Atmosphäre auf einer gekrümmten Bahn. Die Bahnkrümmung ist um so stärker, je tiefer die Teilchenenergie ist – bis hinunter zur geomagnetischen Grenzenergie E0 unter der keine Teilchen mehr Zugang zur Atmosphäre erhalten.

Wie die Trajektorien verlaufen hängt von der geomagnetischen Breite und dem Einfallswinkel, unter dem die kosmischen Strahlungsteilchen in die Magnetosphäre einfallen, ab. Um die Pole gibt es kleine Regionen, wo die Magnetfeldlinien mehr oder weniger radial verlaufen. Wenn die Teilchen in diesen Gebieten radial einfallen, dann haben sie ungehinderten Zugang zur Atmosphäre. Wenn die Bahnen der kosmischen Strahlungsteilchen dagegen in der äquatorialen Ebene liegen, dann treffen sie auf die Magnetosphäre, wo die Abschirmung das Magnetfeld am effektivsten ist und wo die Grenzenergie E0 am höchsten ist. Teilchen mit Energien knapp über der Grenzenergie können eine sehr komplexe Bahn aufweisen, bevor sie die Atmosphäre erreichen. Die Figur links (MAGNETOCOSMICS code, L. Desorgher, Univ. Bern) zeigt berechnete Trajektorien für verschiedene Energien, wobei die Teilchenenergie für die Bahnen von (1) bis (5) abfällt. Die Bahn (5) zeigt die komplexe Trajektorie eines Teilchens in der Magnetosphäre nahe an der Grenzenergie.

Die komplexen Teilchentrajektorien in der Magnetosphäre müssen bei der Interpretation von kosmischen Strahlungsmessungen auf der Erde berücksichtigt werden. Kosmische Strahlungsdetektoren wie Neutronenmonitore weisen alle Teilchen oberhalb der Grenzenergie E0 nach, wobei E0 durch den Standort des Detektors sowie vom aktuellen Zustand des Erdmagnetfeldes bestimmt wird. Am wichtigsten sind die kosmischen Strahlungsteilchen die senkrecht in die Atmosphäre einfallen. Teilchen, die die Atmosphäre aus einem schiefen Winkel treffen, produzieren weniger sekundäre Teilchen, die auf dem Erdboden detektiert werden können, da sie einen längeren Weg durch die Atmosphäre zurücklegen müssen und deshalb stärker absorbiert werden. Die Zeichnung zeigt, dass für an einem festen Ort senkrecht in die Atmosphäre einfallende kosmische Strahlung die Ankunftsrichtung ausserhalb der Magnetosphäre von ihrer Energie abhängt: je tiefer die Energie ist, desto grösser ist der Winkel zwischen der Einfallsrichtung in die Magnetosphäre und der radialen Richtung am Einfallsort in die Atmosphäre. In der äquatorialen Ebene kommen die Teilchen mit abnehmender Teilchenenergie immer mehr aus östlicher Richtung. Ein detailliertere Behandlung der Einfallsrichtungen in die Magnetosphäre ist hier zu finden.

Eine Karte mit Grenzenergien wird in nahezu Echtzeit durch die Universität Bern berechnet. Ein Beispiel einer solchen Karte ist in der nebenstehenden Figur abgebildet. Die rote Farbe auf der Karte in Polnähe zeigt Gebiete, wo Protonen mit Energien unterhalb von 125 MeV die Atmosphäre (20 km über Grund) von ausserhalb der Magnetosphäre erreichen können, während Energien oberhalb 15 GeV (grüne Farbe) um den Äquator über dem südlichen Teil von Asien benötigt werden. Die Kontourlinien von gleichen Grenzenergien sind gekrümmt, da die Achse des terrestrischen Magnetfeldes bezüglich der Erdrotationsachse geneigt ist. Allgemein kann festgestellt werden, dass bei der Annäherung an den magnetischen Äquator die benötigte Minimalenergie für das Erreichen der Atmosphäre durch die kosmischen Strahlungsteilchen ansteigt. Die Grenzenergie ist über dem südlichen Teil Asiens höher, da der magnetische Dipol im Erdinnern etwas zum Erdzentrums verschoben liegt, näher zum südlichen Teil Asiens und entsprechend etwas entfernter vom westlichen Teils des atlantischen Ozeans.

Das Erdmagnetfeld zeigt zwei Arten von Effekten, die für die Beobachtung der kosmischen Strahlung mit Neutronenmonitoren wichtig sind:

  • die Grenzenergie,
  • die asymptotische Richtung der einfallenden Teilchen.

Beide hängen vom geographischen Standort eines Neutronenmonitors ab. Wenn die Messungen von verschiedenen Neutronenmonitorstationen kombiniert werden, so können deshalb Informationen über das Energiespektrum der einfallenden kosmischen Strahlung und über die Flussrichtung der Teilchen in Erdnähe aber ausserhalb der Geomagnetosphäre abgeleitet werden.

Die zeitlich veränderliche Magnetosphäre

Wir haben hier gesehen, dass der Sonnenwind nicht ein stationärer Fluss aufweist. Der Sonnenwind hat eine langsame und eine schnelle Komponente, und zusätzlich zeigt der Sonnenwind Störungen durch koronale Massenauswürfe. Alle diese Eigenheiten beeinträchtigen die Magnetosphäre der Erde, denn sie verursachen den zeitlich und örtlich veränderlichen Druck des Sonnenwindes auf das Erdmagnetfeld. Während die Grenzschicht der Magnetosphäre auf der der Sonne zugewandten Seite während ruhigen Zeiten etwa zehn Erdradien über dem Erdboden liegt, kann diese Grenzschicht bis auf sechs Erdradien an die Erde herankommen, wenn die Magnetosphäre durch ein kräftiges interplanetares Ereignis getroffen wird. Das schwache interplanetare Magnetfeld, welches gewöhnlich verschieden ist vom Erdmagnetfeld, kann unter gewissen Umständen eine magnetische Rekonnektion mit dem Erdmagnetfeld machen, wodurch die Teilchen des Sonnenwindes in die Geomagnetosphäre eindringen. Die veränderlichen Sonnenwindbedingungen verändern deshalb die Konfiguration der Geomagnetosphäre und dadurch auch die Bedingungen, unter welchen die kosmischen Strahlungsteilchen die Atmosphäre erreichen können.

Kosmische Strahlung und die Atmosphäre

Wenn ein kosmisches Strahlungsteilchen in die Erdatmosphäre eindringt, so stösst es mit zunehmender atmosphärischer Tiefe auf eine zunehmende Anzahl Atome und Moleküle, insbesondere Stickstoff und Sauerstoff. Früher oder später wird es zu einer Kollision des kosmischen Strahlungsteilchen mit einem Atom oder einem Molekül kommen. Dabei kann die Wechselwirkung mit der Elektronenhülle eines Atoms (Durchmesser: 10-10 m) oder mit dem sehr viel kleineren Atomkern (Durchmesser: 10-14 m) erfolgen.

Wegen der verschiedenen Grössen und dem unterschiedlichen Wechselwirkungsbereich werden sich die meisten Kollisionen mit der Elektronenhülle ereignen, dabei werden die Elektronen durch das elektrische Feld der kosmischen Strahlung aus der Hülle gerissen und das Atom oder Molekül wird ionisiert. Da die elektromagnetische Wechselwirkung eine grosse Reichweite aufweist, ist die Ionisation häufig, jedoch ist der Energieverlust des einfallenden Protons in einer einzelnen Wechselwirkung gering und spielt in der hohen Atmosphäre keine relevante Rolle.

Die Wechselwirkung eines hochenergetischen Nukleons mit einem Atomkern

Die Wechselwirkungen mit den Atomkernen verursachen eine Vielzahl von Phänomen und neuen Teilchen, welche durch die Untersuchung der kosmischen Strahlung entdeckt wurden und welche heute in grossen Teilchenbeschleunigern detaillierter untersucht werden. Nukleare Wechselwirkungen haben eine sehr viel kleinere Reichweite, die vergleichbar ist mit der Dimension eines Atomkerns. Kernwechselwirkungen ereignen sich deshalb viel seltener verglichen mit der Ionisation. Die Kernwechselwirkung beeinträchtigt das einfallende Teilchen und zerstört den Targetkern.

Ein schöne Möglichkeit die Kernwechselwirkungen sichtbar zu machen, ist Betrachtung der Spuren von geladenen Teilchen in einer speziellen Art von Fotoemulsion. Auf dem Weg des ionisierenden Teilchens durch die Fotoemulsion wird das Silberbromid Molekül angeregt. Wenn die Fotoplatte anschliessend entwickelt wird, wird die Spur des Teilchens durch die Emulsion sichtbar. Die nebenstehende Figur zeigt ein Beispiel einer solchen Foto (von E. Fermi, Nuclear Physics, Fig. X.4a, University of Chicago Press 1950). Wir sehen, dass verschiedene Spuren von einem Punkt, dem Targetkern, ausgehen. Das Projektil war in diesem Fall ein Proton mit einer Energie von etwa 5 GeV, d.h. das Proton bewegte sich mit 98% der Lichtgeschwindigkeit. Die Spur des einfallenden Protons ist die vertikale Spur in der oberen Hälfte der Fotografie, mit “A” bezeichnet. Die dünnen Linien, welche vom Targetkern innerhalb eines engen Kegels um die Richtung des einfallenden hochenergetischen Protons nach unten zeigen, sind die Spuren der bei der Kernwechselwirkung erzeugten Teilchen. Die Spuren werden durch Pionen und hochenergetische Protonen hervorgerufen, dabei werden die Protonen im Targetkern durch das Projektil angestossen. Da sich die produzierten sekundären Teilchen sehr schnell bewegen, sind die Distanzen zwischen den empfindlich gemachten Silberbromid Molekülen sehr gross und dadurch sind die Spuren auf der Foto nur sehr schwach. Die drei dicken schwarzen Linien sind die Spuren von langsamen Protonen, die in willkürlichen Richtungen aus dem Targetkern ausgeworfen wurden.

Diese Darstellung zeigt zwei Arten von Wechselwirkungen:

  • Wenn die Energie des einfallenden Teilchens hoch genug ist, können durch das Projektil ein oder zwei einzelne Nukleonen im Targetkern getroffen werden. Entweder wird dann bei der Kollision das gestossene Nukleon unmittelbar aus dem Atomkern gestossen (knock-on Nukleon), oder aber es wird ein anderes energetisches Teilchen erzeugt, ein Pion. Diese Teilchen verlassen den Kern mit Energien bis zu derjenigen des einfallenden Teilchens. Falls die Kollision nahe am vorderen Ende des Kerns stattfindet und wenn die Teilchen genügend Energie aufweisen, können sie weitere Nukleonen im Kern anstossen: es wird eine Mini-Kaskade im Kern erzeugt. Diese Teilchen bewegen sich im Wesentlichen in der gleichen Richtung wie das ursprünglich einfallende hochenergetische Teilchen (Impulserhaltung). All diese Prozesse laufen sehr rasch ab. Die Zeitdauer ist vergleichbar mit der Zeit, die das einfallende Teilchen braucht, um eine Strecke von der Dimension eines Atomkerns zu durchlaufen (Durchmesser eines Atomkerns: 10-14 m, Geschwindigkeit ist nahezu Lichtgeschwindigkeit: 3x108 m/s, dies ergibt eine Zeit von 10-22 s). Diese Zeit wird Kaskadenphase (engl. cascade phase) der Wechselwirkung genannt.
  • Das ursprüngliche kosmische Strahlungsnukleon oder seine Bruchstücke, die im Kern zurückbleiben, haben immer noch etwas Energie nach der Kollision, welche sie mit den Komponenten des übrigbleibenden Kerns teilen. Der Targetkern (Zwischenkern (engl. compound nucleus)) befindet sich dann in einem angeregten Zustand. Der Kern gibt diese überschüssige Energie nach etwa 10-16s (was eine Million mal länger ist als die Zeit, die benötigt wird um ein Teilchen in einer Kollision während der Kaskadenphase direkt auszustossen!) durch Aussenden von Gammastrahlung (elektromagnetische Strahlung) oder weiteren Nukleonen ab. Die zeitlich verzögerte Emission kommt daher zustande, weil die Elemente des übrigbleibenden Kerns anfänglich zu wenig Energie haben, um diesen verlassen zu können. Aber durch den kontinuierlichen Energieaustausch untereinander (wie Moleküle in einem Gas oder einer heissen Flüssigkeit durch kontinuierliche gegenseitige Kollisionen) kann eines der Elemente genügend Energie erlangen, um den Kern verlassen zu können. Der Prozess, bei dem ein leichter Kern oder ein Nukleon den Restkern verlassen kann, wird Verdampfung (engl. boil off or evaporate) genannt. Verdampfungsnukleonen verlassen den Kern in einer beliebigen Richtung. Die Energie des Verdampfungsnukleons beträgt einige MeV. Dieser zweite Teil der Kernwechselwirkung wird Entregungsphase (engl. de-excitation phase) oder Verdampfungsphase (engl. evaporation phase) genannt.

Die Kaskade der kosmischen Sekundärstrahlung in der Atmosphäre

Wenn das einfallende kosmische Strahlungsteilchen mit einem Atom oder einem Molekül der Atmosphäre wechselwirkt, so werden eine Vielzahl von sekundären Teilchen erzeugt. Wenn das einfallende Teilchen ein schweres Ion ist, dann wird es in leichtere Kerne, einzelne Protonen oder Neutronen zerfallen. Alle diese sekundären Teilchen werden sich weiter nach unten fortbewegen und können dabei weitere Wechselwirkungen mit Luftmolekülen machen. Eine Kaskade der kosmischen Sekundärstrahlung wird erzeugt. Je tiefer die Teilchen in die Atmosphäre eindringen, desto mehr Energie verlieren sie. Das primäre kosmische Strahlungsteilchen muss eine minimale Energie von etwa 450 MeV besitzen, um eine genügend grosse Anzahl an sekundären Teilchen zu erzeugen, die den Erdboden auf Höhe des Meeresspiegels erreichen können. Um auch sekundäre Teilchen von primären kosmischen Strahlungsteilchen mit tieferen Energien nachzuweisen, muss man die geeigneten Detektoren auf hohen Bergen stationieren oder an Bord von Flugzeugen, Ballonen oder Raumfahrzeugen.

Eine Kaskade der kosmischen Sekundärstrahlung ist in obenstehender Figur dargestellt. Die schematische Abbildung der Kaskade ist aus Simpson et al. (1953, Phys. Review 90, 934).

Im Folgenden betrachten wir die einzelnen Wechselwirkungen vom ersten Zusammenstoss bis zur Ankunft der Zerfallsprodukte auf dem Erdboden:

  • Bei den Zusammenstössen der primären kosmischen Strahlungsteilchen mit den Kernen der Atmosphäre werden geladene (π±) und neutrale (π0) Pionen erzeugt, d.h. Teilchen mit Massen zwischen derjenigen des Elektrons und derjenigen des Protons. Diese Teilchen sind instabil: neutrale Pionen zerfallen in Gammastrahlung Photonen (γ), welche Elektronen-Positronen Paare (e±) produzieren können; geladene Pionen zerfallen in Müonen (μ±), welche ebenfalls Elektronen und Positronen erzeugen können. Einige Müonen können eine Kernwechselwirkung eingehen und Neutronen (n) produzieren.
  • Ein anderer Zweig von Reaktionen erzeugt schnelle Nukleonen, Neutronen (N) und Protonen (P), mit einem breiten Energiespektrum, welches bis zur Energie des einfallenden Nukleons reicht. Wenn die Projektilteilchen genügend Energie besitzen, können sie mit Kernen der Luft wechselwirken. Bei jeder Kernwechselwirkung werden auch Verdampfungsnukleonen erzeugt, beides, Neutronen (n) und Protonen (p) mit Energien bis zu einigen MeV (n,p - klein geschrieben, um zu zeigen, dass diese Teilchen eine relativ tiefe Energie besitzen).

Die in der Kaskade produzierten Teilchen wechselwirken alle mehr oder weniger mit der Atmosphäre. Müonen wechselwirken am wenigsten häufig und deshalb ist ihr Fluss auf Meereshöhe am grössten. Verdampfungsprotonen und -neutronen kollidieren mit Kernen in der Atmosphäre und verlieren dabei ihre Energie. Protonen verlieren auch Energie durch Ionisation, wogegen Neutronen nicht ionisieren können. Deshalb erleiden die Protonen einen grösseren Energieverlust in der Atmosphäre als die Neutronen und sind deshalb bei Energien unterhalb 2 GeV auf Meereshöhe weit weniger häufig als Neutronen.

Elektromagnetische Wellen und Elektronen sind die dritte Komponente in der sekundären kosmischen Strahlung, die auf dem Erdboden beobachtet werden kann.

Erdgestützte kosmische Strahlungsdetektoren können in Untergruppen unterteilt werden, je nachdem auf welche der drei Komponenten sie empfindlich sind: Nukleonenkomponente (Protonen und Neutronen), Mesonenkomponente (Müonen) und elektromagnetische Komponente (Photonen, Elektronen usw.). Neutronenmonitore detektieren die Nukleonenkomponente, d.h. Neutronen (N) und Protonen (P), durch die Produktion von Neutronen (n) im Neutronenerzeuger aus Blei des Neutronenmonitors. Damit die Verdampfungsnukleonen n und p, welche in der Atmosphäre und im Material in unmittelbarer Nähe des Neutronenmonitors erzeugt werden, nicht detektiert werden, ist das Zählrohr im Neutronenmonitor durch Moderatormaterial umgeben und verhindert so, dass diese tiefenergetischen Neutronen detektiert werden.


Previous
Next